10 Jahrzehnte, 10 Fragen an ...

Fiene Scharp

© IJ. Biermann

Fiene Scharp, geboren 1984 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin. Mehr Information auf der Webseite der Künstlerin.

__________


In einem Satz: Was ist für mich Konkrete Kunst?
Mit Konkreter Kunst verbinde ich eine Kunstrichtung, die sich in einem sehr eng gesteckten Rahmen bewegt und auf mathematisch-geometrische Gesetzmäßigkeiten fokussiert.

Verstehe ich mich selbst als Vertreter*in der Konkreten Kunst?
Ich sehe mich nicht als Vertreterin einer bestimmten Sparte / Schule. Meine Zeichnungen und Bildobjekte entwickle ich einerseits aus dem Material heraus: Papier, Grafit oder Haar sind zumeist die grundlegenden Werkstoffe, deren Oberflächen ich durch Schnitte, Abtragung oder Prägung bearbeite.
Andererseits spiele ich formal mit der Idee der Wiederholung. Indem ich bereits vorgefundene Raster als Grundlage nutze, oder einzelne Elemente wie Einschnitt, Punkt oder Quadrat aneinanderreihe und stetig wiederhole, entstehen diverse repetitive Strukturen, Systeme und Rhythmen. Hierin kann man eine Gemeinsamkeit zur Konkreten Kunst sehen.
Allerdings interessiert mich die minimale Differenz in der Wiederholung, kleinste Ungleichmäßigkeiten und Brüche in der Oberfläche, der Haptik und im Rhythmus, die sich durch das Verhalten des Materials und den manuellen Arbeitsprozess ergeben. Mich fasziniert die Stille, der Zwischenraum, die Leere, die Zeit, graduelle Schattierungen, Abweichungen.
Dieses Ungenaue, unauffällig Abweichende und Individuelle steht den ursprünglichen Grundsätzen der Konkreten Kunst entgegen. 

Wer ist mein(e) Lieblingskünstler*innen im Bereich der Konkreten Kunst? Welche der Konkreten Kunst zuzurechnende Position hat mich am stärksten geprägt / beeindruckt? Welche Pionier*innen der Konkreten Kunst empfinde ich als Vorbild?
Ich würde die Frage von der Konkreten Kunst gern hin zu den internationalen Verzweigungen öffnen. Mich prägten und interessieren nach wie vor Positionen, die sich mit Reduktion, Wiederholung, Wahrnehmung und Zeit beschäftigen, wie Agnes Martin, Max Cole, Hanne Darboven, die Polaroids von Inge Dick, oder die Zeichnungen von Marcia Hafif … 

Was war mein erster Kontakt mit Konkreter Kunst?
Günter Fruhtrunk war wahrscheinlich der erste, unbewusste Kontakt mit Konkreter Kunst. (Die erste Auseinandersetzung mit ungegenständlicher Kunst war durch Kasimir Malewitschs Werk Schwarzes Quadrat auf weißem Grund.)

Haben die Anfänge der Konkreten Kunst einen direkten Einfluss auf meine eigene künstlerische Arbeit?
Es gibt sicherlich Gemeinsamkeiten, wie die geplante Ausführung, die nahezu mechanische Arbeitsweise und (scheinbare) Präzision, die Rückführung auf geometrische Grundformen und Konstruktionen.
Doch mich interessiert mehr das Aufweichen dieser formalen Strenge, der kaum sichtbare Zufall, das Unperfekte.
(Einflüsse auf meine künstlerische Arbeit sehe ich eher aus dem Experiment und Umgang mit dem verwendeten Material heraus; in elektronischer Musik, wie Steve Reich, Alva Noto, Ryōji Ikeda; oder dem Erleben weiter Horizonte von Steppen, Wüsten oder Hochebenen.)

Welche Prinzipien der Konkreten Kunst prägen meinen künstlerischen Ansatz am stärksten?
Vielleicht die Klarheit und Reduktion. Ich greife oft auf das Quadrat als Grundelement zurück.

Farbe, Form oder Linie? Welches grundlegende künstlerische Ausdrucksmittel der Konkreten Kunst ist mir am wichtigsten?
Der Zwischenraum.

Die Manifeste der Pionier*innen der Konkreten Kunst sind für mich

  1. Längst überholt
  2. Auch heute unverändert gültig
  3. Viel zu dogmatisch
  4. Von keinerlei Relevanz
  5. In ihrer Zeit bahnbrechend x
  6. Immer eine Inspirationsquelle
  7. Nicht radikal genug
  8. Andere Einschätzungen:
     

Zum 100. Geburtstag: Wo sehe ich die Konkrete Kunst in 100 Jahren?

  1. Die tonangebende Richtung innerhalb der bildenden Kunst
  2. Nicht mehr als eigene, klar abgegrenzte Kunstrichtung zu erkennen
  3. Unverändert von großer Bedeutung x
  4. In heute noch nicht vorhersehbaren Ausprägungen und Medien
  5. Andere Einschätzungen:
     

Und? Braucht es den Begriff Konkrete Kunst (überhaupt) noch?
Begriffe sind nützlich zur Einordnung, Hervorhebung und Abgrenzung, dem Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.