10 Jahrzehnte, 10 Fragen an ...

Silvia Inselvini

Silvia Inselvini, geboren 1987 in Brescia, lebt und arbeitet in Brescia. Mehr Information auf der Webseite der Künstlerin.

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In einem Satz: Was ist für mich Konkrete Kunst?
Ich würde sagen, dass meine Vorstellung von Konkreter Kunst eher wörterbuchartig ist. Konkrete Kunst bedeutet, dass ein Kunstwerk einen Wert an sich hat, ohne dass es einer bestimmten Interpretation bedarf.

Verstehe ich mich selbst als Vertreter*in der Konkreten Kunst?
Eigentlich habe ich mich nie als Vertreterin der Konkreten Kunst gesehen. Es gibt viele Berührungspunkte mit dem Manifest der Konkreten Kunst und ich stimme mit den meisten der darin geäußerten Ideen überein, aber meine Arbeit ist, obwohl sie nicht symbolisch ist, nicht ganz frei von einem gewissen Lyrismus, der nicht als Ausdruck reiner Subjektivität oder Sentimentalität gedacht ist, sondern als eine evokative Dimension.

Wer ist mein(e) Lieblingskünstler*in im Bereich der Konkreten Kunst? Welche der Konkreten Kunst zuzurechnende Position hat mich am stärksten geprägt / beeindruckt? Welche Pionier*innen der Konkreten Kunst empfinde ich als Vorbild?
Mein Lieblingskünstler ist wohl Joseph Albers mit seiner Erforschung der Farbwahrnehmung. Meiner Meinung nach gehört er zu den Künstlern, denen es am besten gelungen ist, Emotionalität und Subjektivität aus der künstlerischen Arbeit herauszuhalten – das ist die Position, die mich an der Konkreten Kunst am meisten beeindruckt – ohne dabei an Tiefe und Intensität zu verlieren. In Albers' Werken sehen wir einen reinen Ausdruck von Farbe, der durch die Wiederholung einer strengen und gemessenen Methode erreicht wird. Obwohl sie frei von jeglichem erzählerischen und symbolischen Wert sind, können wir nicht übersehen, wie die Qualität der Farbe, die fast ein Licht von innen auszustrahlen scheint, und die Verwendung präziser Proportionen das Material selbst mit einer tiefen Mystik zu transzendieren vermögen. Dieser Aspekt steht meines Erachtens nicht im Widerspruch zu den Prinzipien der Konkreten Kunst, denn der Sinn für das Unantastbare [Anm., orig. Sacred] ist nicht subjektiv, sondern universell.

Was war mein erster Kontakt mit Konkreter Kunst?
Mein erster Kontakt mit der Konkreten Kunst kam durch Kunstgeschichtsbücher zustande, in denen ich seit meiner Kindheit immer geblättert habe. Als Kind denkt man, und oft wird einem gesagt, dass Künstler zu sein bedeutet, "gut zeichnen zu können", daher war es für mich sehr merkwürdig, zum Beispiel Mondrians Gemälde in den Büchern zu sehen. Anfangs löste das eine Art Verschlossenheit aus, und das passiert, wenn man nicht genügend Werkzeuge hat, um zu verstehen, was man vor sich hat. Mit der Zeit wuchs die Neugierde und der Wunsch zu verstehen, warum diese Art von Werken genauso wichtig sind wie die, von denen man "traditionell" sagt, dass sie Eckpfeiler der Kunstgeschichte sind.

Haben die Anfänge der Konkreten Kunst einen direkten Einfluss auf meine eigene künstlerische Arbeit?
Als der Wunsch, Künstler zu werden, in mir Gestalt annahm, hätte ich nie gedacht, dass meine Forschung auf diese Weise strukturiert sein würde. Wie viele Menschen interessierte ich mich anfangs für den figurativen Ausdruck mit einer emotionalen Komponente, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass diese Aspekte für mich keine Bedeutung hatten. Dann begann ich, mich der abstrakten Kunst im Allgemeinen zu nähern, um herauszufinden, wie eine Art expressive Objektivität erreicht werden könnte. So hat die Konkrete Kunst sicherlich zu dem beigetragen, was meine Forschung heute ist, aber der Prozess war schrittweise und nicht so direkt.

Welche Prinzipien der Konkreten Kunst beeinflussen meinen künstlerischen Ansatz am stärksten?
Jetzt, wo meine künstlerische Praxis eine klare Richtung hat, kann ich, wenn ich mich mit dem Manifest der Konkreten Kunst vergleiche, sagen, dass praktisch alle Punkte einen gewissen Einfluss auf meine Arbeit haben. Wie ich bereits sagte, kann ich jedoch nicht behaupten, dass meine Kunstwerke völlig frei von einem gewissen Lyrismus sind. Gleichzeitig ist meine Praxis zwar repetitiv und fast mechanisch, aber nicht „exakt“, denn in der Konstruktion der Farbschichten bleibt ein Element des Zufalls, das nicht kontrolliert werden kann.

Farbe, Form oder Linie? Welches grundlegende künstlerische Ausdrucksmittel der Konkreten Kunst ist für mich am wichtigsten?
Eindeutig die Farbe.

Die Manifeste der Pionier*innen der Konkreten Kunst sind für mich

  1. Längst überholt
  2. Auch heute unverändert gültig x
  3. Viel zu dogmatisch
  4. Von keinerlei Relevanz
  5. In ihrer Zeit bahnbrechend
  6. Immer eine Inspirationsquelle
  7. Nicht radikal genug
  8. Andere Einschätzungen:
     

Zum 100. Geburtstag: Wo sehe ich die Konkrete Kunst in 100 Jahren?

  1. Die tonangebende Richtung innerhalb der bildenden Kunst
  2. Nicht mehr als eigene, klar abgegrenzte Kunstrichtung zu erkennen
  3. Unverändert von großer Bedeutung x
  4. In heute noch nicht vorhersehbaren Ausprägungen und Medien
  5. Andere Einschätzungen:
     

Und? Ist der Begriff Konkrete Kunst (überhaupt) noch notwendig?
Ich kann nicht sagen, ob der Begriff Konkrete Kunst noch notwendig ist, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich die Sprache – wie die Kunst – immer weiterentwickelt und es heutzutage sehr schwierig ist, die Kunst in eine bestimmte Strömung einzuordnen.


Übersetzt aus dem Englischen.