Museum

Was ist Konkrete Kunst?

Anton Stankowski, Aufgeklappt auf Weiß, 1989, Acryl auf Leinwand, 90 x 65 cm, © Stankowski-Stiftung, Stuttgart,
Foto: Helmut Bauer, Ingolstadt
Richard Paul Lohse, Fünfzehn systematische Farbreihen in progressiven Horizontalgruppen, 1950/62
Richard Paul Lohse, Fünfzehn systematische Farbreihen in
progressiven Horizontalgruppen, 1950/62, Öl auf Leinwand, 150 x 150 cm,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2014,
Foto: Helmut Bauer, Ingolstadt
Johanna Reich, black hole, 2009, Videoarbeit (Filmstill),
© VG BILD-KUNST, BONN 2014
Museum für Konkrete Kunst

Es gibt kaum eine moderne Kunstrichtung, die bis heute so viele Missverständnisse, Mythen und Ängste erzeugt. Dabei ist Konkrete Kunst eine unmittelbare, auf sinnliches Erleben angelegte Kunstrichtung, die auch ohne jedes Vorwissen, aber notwendigerweise auch ohne Vorurteile, erfassbar ist. Es ist eine ungegenständliche Kunst in Malerei, Plastik, Film oder Installationen, die nicht die sichtbare Welt abbilden möchte. Daher kommen den Farben, Formen, der Linie und erweitert auch den Materialien eine besondere Bedeutung zu.

Am Anfang stand 1915 das Gemälde „Schwarzes Quadrat“ des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch, das bis heute als radikaler Bruch mit einer bis dahin gültigen Kunsttradition gesehen wird. Diese Entwicklung wurde durch verschiedene andere Künstler*innen vorbereitet und entstand nicht ohne Vorgeschichte, aber es kann als der „Urknall“ für die Konkrete und Konstruktive Kunst gesehen werden. Parallel entstanden viele vergleichbare Tendenzen wie in den Niederlanden die „De Stijl“-Bewegung um Piet Mondrian. Sowohl die russischen Konstruktivisten als auch die westeuropäischen Akteure folgten einem stark spirituellen Ansatz. Die Künstler*innen suchten nach Wegen, das Unsichtbare, das womöglich Unfassbare sichtbar werden zu lassen. Die Verbindung von Emotionen mit Farben ebenso wie mit Formen beschäftigte zahllose Künstler*innen. Erst 1930 setzte sich der Begriff der „Konkreten Kunst“ durch einen Text des Künstlers Theo van Doesburg für verschiedene ungegenständliche und geometrische Positionen durch.

Speziell durch die Reduktion auf die Rezeption in der Schweiz, den sogenannten „Zürcher Konkreten“, wurde die Konkrete Kunst  sehr eng definiert. Die dortigen Protagonisten in den 1940er und 1950er Jahren wie Richard Paul Lohse und Max Bill bestimmten durch viele Publikationen den Diskurs und legten Wert darauf, dass die Konkrete Kunst eine rationale und mathematisch begründete Kunst sei. Unbewusstes oder gar Spirituelles ließ sich nach ihrer Vorstellung mit der Konkreten Kunst keinesfalls verbinden. Diese strenge Interpretation ist aus dem Zeitgeist heraus zu verstehen.

In der Nachkriegszeit erlebte die abstrakte Malerei durch den amerikanischen Expressionismus und einer gezielten politischen Förderung in Westeuropa und den USA einen enormen Bedeutungszuwachs. Die freie abstrakte Geste, die immer als emotionale und subjektive Malerei verstanden wurde, galt als radikaler Gegensatz zu der vermeintlich objektiven, auf nachvollziehbaren Kriterien beruhenden Konkreten Kunst.

Doch auch die logische Malerei von Richard Paul Lohse will mehr als nur mathematische Gesetze zu bebildern. Gerade Lohse hatte große gesellschaftliche Ziele und wollte mittels seiner Kunst Systeme und Strukturen sichtbar und dadurch reformierbar machen. Ihm ist die gesellschaftliche Utopie ebenso wenig fremd wie einem Kasimir Malewitsch, der von dem „neuen Menschen“ träumte.

Max Bill, der als bildender Künstler ebenso wie als Designer und Architekt Karriere machte, erschuf Räume, Möbel und Objekte, die seine Vorstellung einer funktionalen, modernen Welt verkörperten. Als einer der Gründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die sich als Nachfolgeinstitution des Weimarer Bauhauses begriff, prägte er das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik mit erzieherischem Elan mit. Konkrete Kunst war also immer eine Kunst, die sich großer gesellschaftlicher Aufgaben annahm und aktiv die Welt gestalten und verändern wollte.

Daraus ergibt sich auch der enge Bezug zum Design, den Künstler wie Max Bill, Anton Stankowski, Walter Dexel, Erich Buchholz und viele andere selbstverständlich parallel zu ihrem Kunstschaffen umsetzten. Das zukünftige Museum für Konkrete Kunst wird in seinem Neubau deshalb auch seinen Schwerpunkt um das Design im Kontext der Konkreten Kunst erweitern.

Konkrete Kunst wurde immer als eine moderne, dem technischen Zeitalter entsprechende Kunstrichtung verstanden, in der das serielle Prinzip aber auch die industrielle Produktion ohne die künstlerische Hand eine große Rolle spielte. Daher entwickelten sich bereits in den frühen 1960er Jahren die kinetische Kunst und die Computerkunst aus dieser Kunstrichtung. Auch die Konzeptkunst findet ihre Wurzeln in der Konkreten Kunst, da sie den Künstler nicht mehr als handwerkliches Genie, sondern als Produzenten einer Idee, der mit der Ausführung nichts mehr zu tun hat, begreift.

Rückblickend wird die Konkrete Kunst oft als dekorative „Kästchenmalerei“ verunglimpft. Die auf mathematischen Prinzipien basierende Malerei oder Plastik deutet mancher Kritiker als rein formale Spielerei. Die Künstlergeneration, die in den 1970er Jahren geboren ist, würde sich schwer mit dem Etikett „Konkrete Kunst“ bezeichnen lassen. Der Begriff ist historisch geworden, die Inhalte sind jedoch so aktuell wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es geht um Strukturen, Systeme, Rhythmus, Programmierung, Information, Wahrnehmung, gesellschaftliche Utopien und Reformen. Es geht um die Schnittstelle zwischen Kunst und Design, die gerade in der aktuellen zeitgenössischen Kunst ein großes Thema ist. Das Museum für Konkrete Kunst vertritt die „Idee Konkret“ und keine statische, eindimensionale Interpretation von Konkreter Kunst, die ohnehin schon immer dem Wandel unterworfen war.